Am Rande der Glaswüste
Der Hafen - oder das, was davon übrig war - war komplett ausgestorben. An der Mole reihte sich Wrack an Wrack. Gigantische Kolosse, deren Brücke im Nebel verschwand. Die Strahlung war einigermassen erträglich, so liess ich es mir nicht nehmen, auf einen der kleinen Schoner älterer Bauart zu springen. Von dort aus gelangte ich ueber eine alte zerrissene Strickleiter auf einen kleineren Segler. Das Segel war längst demontiert, vermutlich von Plünderern. Alles was nicht niet- und nagelfest war...
Dahinter erhob sich direkt ein weiterer Frachter, mindestens drei Stockwerke höher. Ueber eine offensichtlich vor Ort spontan zurechtgezimmerte schwankende Leiter kletterte ich auf eine vorgelagerte Trägerplattform. Das gelbe H, welches den Landepunkt für die Senkrechtstarter markieren sollte, war von Säure und Rost zerfressen.
In der Brücke fand sich ein letzter Rest Leben. Oder besser: Energie. Die Batterien des Schiffs waren noch intakt, der 3-D-Radarschirm glühte noch schwach, an einigen Armaturen blinkten Leuchtdioden willkürlich vor sich hin, die Geräte schienen instabil.
Während ich die Lagerräume durchstöberte, vergass ich den regelmässigen Blick auf den Detektor. Das jähe Pfeifen der Strahlenwarnung unterbrach meine Zielstrebigkeit, in den Containerraum vorzudringen, um irgendwelche brauchbaren Gegenstände oder sogar Nahrungsmittel zu finden. Das Risiko war zu gross, ich kehrte um, und passierte das verrostete Schild mit der Aufschrift "Section 5". Die hermetische Tuer stand halb offen, dahinter erschien im fahl-diffusen Tageslicht eine zum Oberdeck führende Treppe.
Ich erschrak. Ich hatte die Leiche, die im rostigen Brackwasser lag, nicht gesehen. Ein ausdrucksloses, gut erhaltenes Gesicht, mit offenstehenden Augen. Der Kopf war kahl, eine grosse Narbe klaffte an der Hinterseite. Die Strahlung bot jeglicher Zersetzung Einhalt, wie auch der fortwährende Pfeifton der Warnung bestätigte. Es muss ein Plünderer gewesen sein, mit einer offensichtlich schlechteren Ausrüstung.
Ich nahm einige Konserven mit. Als ehemaliger Marinechemiker kannte man die Verstecke. Ich hatte nur mit Drogen gerechnet, doch befanden sich hinter der Abdeckung der Klimaeinheit auch einige Delikatessen, eingelegte Paprika, Thunfisch, Corned beef. Wie auch einige Phiolen L42. Man wusste nie, wozu man sie...
Gemäss der Strahlenkarte gab es ein passierbares Tal, etwa zwei Tagesreisen von der Stadt entfernt. Das Wasser-Reservoir am Berg war eingezeichnet, ich deckte mich mit etwa 10 Litern ein. Es schmeckte leicht metallisch, war jedoch kaum verstrahlt. Etwas besseres würde ich wohl nicht finden.
Was mich jedoch beunruhigte, war der Batteriestand meines Detektors. Das Solarpanel war bei der letzten Auseinandersetzung mit einer Plündererbande kaputtgegangen, ich haette einen Lötkolben benötigt, um es zu reparieren. Meine Hoffnung lag im unbekannten Land, welches mir auf der Karte als weisser Fleck mit einem ominösen roten Kreuz erschien. Es war offensichtlich umgeben von kaum passierbaren Gebirgen. Die Hauptpassage war markiert als grosse Einschlagsstelle, womöglich waren dort ganze Berge versetzt worden. Die Wucht der eingesetzten Bomben hätte das wohl bewerkstelligt, ich ging von einer erhöhten Strahlengefährdung aus. Doch ich musste das Risiko eingehen.
Tagelang wanderte ich durch kahles Wüstenland. Der Wind pfiff um rötliche Sandsteinsäulen, in der Ferne war geschmolzenes Gestein zu erkennen, von dem ich mich wohlweislich fernhielt und kritische Stellen mit Hilfe meines Detektors umrundete.
Der Inhalt meines Wasserkanisters ging zur Neige, als ich am 5. Tag die Passage erreicht haben musste. Kärgliches totes Gestrüpp säumte meinen Weg, der sich zunächst den Berg hochschlängelte und schliesslich im Unterholz schmächtiger, dicht gewachsener Bäume unterging. Nadeln kratzten an meinem Tornister, ich musste mich des öfteren bücken.
Der Geruch war charakteristisch. Ich hatte meinen Tornister während einer kleinen Pause in der Abenddämmerung gegen ein Gestrüpp gelehnt, ohne den Untergrund zu beachten. Als ich realisierte, was an meinem Rucksack klebte, hätte ich mich unter anderen Umständen länger als eine Zehntelsekunde geärgert - diesmal realisierte ich: Leben! Es war der Geruch von Erde, Pilzen, würzigem Gras.. ausgeschieden durch ein wildes Tier. Vermutlich Wildschwein. Der kleine Zwischenfall, der danach folgte, liess mich die halbe Nacht lang nicht richtig schlafen.
Der Gipfel konnte nicht weit sein, so trieb ich mich im Dunkeln voran. Das Rascheln im Unterholz liess mich stocken, die Geräusche sich nähernder, vielzähliger Füsse liessen meinen Nacken kribbeln. Ich hatte die Taschenlampe ausgeschaltet und stand stocksteif, bis das Getrappel und Geraschel sich entfernte. Aus Erzählungen meiner Grossmutter waren mir die Verhaltensweisen bekannt, doch ich wusste nicht, womit ich es zu tun hatte...
Es musste die Passage sein. Von weitem war das Gluckern eines Flusses zu hören, bis sich schliesslich das Blickfeld hinter dem Wald weitete. Seltsame, amorphe Felsformationen erhoben sich, gefrorene Schichten wölbten sich übereinander - gefroren? Ich war alarmiert und hielt den Detektor vor mich. Keine Gefahr. Ich näherte mich dem Fluss und betrat die glasigen Flächen. Vor lauter Faszination legte ich mich auf das Glas und betrachtete die Luftblasen, die langsam mit der Strömung wanderten. Ein Hitzestrom musste das Gestein geschmolzen haben, dass kaum Strahlung vorhanden war, war irritierend. Wie eine Eisschicht hatte sich die glasige Masse über den Fluss gelegt, hier und da faustgrosse Blasen geworfen, sich übereinander geschichtet wie zähflüssiger schwarzer Honig. Der Flussboden bestand grösstenteils aus schwarzen Sand, doch kleine grüne Flecken waren in der Tiefe wahrzunehmen. Chlorophyll.
Ich verbrachte einige faszinierende Stunden an der Passage, bis mich schliesslich die scheidenden Vorräte an mein eigentliches Ziel erinnerten.
Die kleine Siedlung erschien friedlich hinter einem Felskamm, dahinter erstreckte sich eine Talsohle bis zur etwa eine halbe Tagesreise entfernten Gebirgskette. Sie hatten mich von weit kommen sehen, und begrüssten mich freundlich. Verständigungsprobleme gab es keine. Der Bürgermeister wollte gleich wissen, worin ich gut sei. Verschiedene Menschen stellten mir hektisch Fragen, die ich sogleich ohne Nachdenken beantworten sollte. Nach einer kurzen Beratungspause rief mich der Bürgermeister zu sich und erklärte mir die Weise des hiesigen Zusammenlebens.
Es ging prinzipiell darum, dass jeder im Dorf eine gewisse Periode lang eine gewisse Funktion ausübte. Nach dieser Periode wurde erneut besetzt. Der Mechaniker wurde zum Polizisten, der Nahrungsmitteltechniker wurde für die Kartoffelfelder verantwortlich. Nur der Arzt hatte eine Sonderstellung inne, es gab ausserdem für jeden Funktionär einen Stellvertreter.
Das System funktionierte offensichtlich. Ich akzeptierte - und blieb. Als Chemiker, als Polizist, als Lehrer. Ich wäre noch weitere Perioden geblieben, aber nach etwa 500 Tagen in der Kommune ergriff mich die Unruhe.
Ich vermisste Mary. Es war an der Zeit, sie zu suchen.
Dahinter erhob sich direkt ein weiterer Frachter, mindestens drei Stockwerke höher. Ueber eine offensichtlich vor Ort spontan zurechtgezimmerte schwankende Leiter kletterte ich auf eine vorgelagerte Trägerplattform. Das gelbe H, welches den Landepunkt für die Senkrechtstarter markieren sollte, war von Säure und Rost zerfressen.
In der Brücke fand sich ein letzter Rest Leben. Oder besser: Energie. Die Batterien des Schiffs waren noch intakt, der 3-D-Radarschirm glühte noch schwach, an einigen Armaturen blinkten Leuchtdioden willkürlich vor sich hin, die Geräte schienen instabil.
Während ich die Lagerräume durchstöberte, vergass ich den regelmässigen Blick auf den Detektor. Das jähe Pfeifen der Strahlenwarnung unterbrach meine Zielstrebigkeit, in den Containerraum vorzudringen, um irgendwelche brauchbaren Gegenstände oder sogar Nahrungsmittel zu finden. Das Risiko war zu gross, ich kehrte um, und passierte das verrostete Schild mit der Aufschrift "Section 5". Die hermetische Tuer stand halb offen, dahinter erschien im fahl-diffusen Tageslicht eine zum Oberdeck führende Treppe.
Ich erschrak. Ich hatte die Leiche, die im rostigen Brackwasser lag, nicht gesehen. Ein ausdrucksloses, gut erhaltenes Gesicht, mit offenstehenden Augen. Der Kopf war kahl, eine grosse Narbe klaffte an der Hinterseite. Die Strahlung bot jeglicher Zersetzung Einhalt, wie auch der fortwährende Pfeifton der Warnung bestätigte. Es muss ein Plünderer gewesen sein, mit einer offensichtlich schlechteren Ausrüstung.
Ich nahm einige Konserven mit. Als ehemaliger Marinechemiker kannte man die Verstecke. Ich hatte nur mit Drogen gerechnet, doch befanden sich hinter der Abdeckung der Klimaeinheit auch einige Delikatessen, eingelegte Paprika, Thunfisch, Corned beef. Wie auch einige Phiolen L42. Man wusste nie, wozu man sie...
Gemäss der Strahlenkarte gab es ein passierbares Tal, etwa zwei Tagesreisen von der Stadt entfernt. Das Wasser-Reservoir am Berg war eingezeichnet, ich deckte mich mit etwa 10 Litern ein. Es schmeckte leicht metallisch, war jedoch kaum verstrahlt. Etwas besseres würde ich wohl nicht finden.
Was mich jedoch beunruhigte, war der Batteriestand meines Detektors. Das Solarpanel war bei der letzten Auseinandersetzung mit einer Plündererbande kaputtgegangen, ich haette einen Lötkolben benötigt, um es zu reparieren. Meine Hoffnung lag im unbekannten Land, welches mir auf der Karte als weisser Fleck mit einem ominösen roten Kreuz erschien. Es war offensichtlich umgeben von kaum passierbaren Gebirgen. Die Hauptpassage war markiert als grosse Einschlagsstelle, womöglich waren dort ganze Berge versetzt worden. Die Wucht der eingesetzten Bomben hätte das wohl bewerkstelligt, ich ging von einer erhöhten Strahlengefährdung aus. Doch ich musste das Risiko eingehen.
Tagelang wanderte ich durch kahles Wüstenland. Der Wind pfiff um rötliche Sandsteinsäulen, in der Ferne war geschmolzenes Gestein zu erkennen, von dem ich mich wohlweislich fernhielt und kritische Stellen mit Hilfe meines Detektors umrundete.
Der Inhalt meines Wasserkanisters ging zur Neige, als ich am 5. Tag die Passage erreicht haben musste. Kärgliches totes Gestrüpp säumte meinen Weg, der sich zunächst den Berg hochschlängelte und schliesslich im Unterholz schmächtiger, dicht gewachsener Bäume unterging. Nadeln kratzten an meinem Tornister, ich musste mich des öfteren bücken.
Der Geruch war charakteristisch. Ich hatte meinen Tornister während einer kleinen Pause in der Abenddämmerung gegen ein Gestrüpp gelehnt, ohne den Untergrund zu beachten. Als ich realisierte, was an meinem Rucksack klebte, hätte ich mich unter anderen Umständen länger als eine Zehntelsekunde geärgert - diesmal realisierte ich: Leben! Es war der Geruch von Erde, Pilzen, würzigem Gras.. ausgeschieden durch ein wildes Tier. Vermutlich Wildschwein. Der kleine Zwischenfall, der danach folgte, liess mich die halbe Nacht lang nicht richtig schlafen.
Der Gipfel konnte nicht weit sein, so trieb ich mich im Dunkeln voran. Das Rascheln im Unterholz liess mich stocken, die Geräusche sich nähernder, vielzähliger Füsse liessen meinen Nacken kribbeln. Ich hatte die Taschenlampe ausgeschaltet und stand stocksteif, bis das Getrappel und Geraschel sich entfernte. Aus Erzählungen meiner Grossmutter waren mir die Verhaltensweisen bekannt, doch ich wusste nicht, womit ich es zu tun hatte...
Es musste die Passage sein. Von weitem war das Gluckern eines Flusses zu hören, bis sich schliesslich das Blickfeld hinter dem Wald weitete. Seltsame, amorphe Felsformationen erhoben sich, gefrorene Schichten wölbten sich übereinander - gefroren? Ich war alarmiert und hielt den Detektor vor mich. Keine Gefahr. Ich näherte mich dem Fluss und betrat die glasigen Flächen. Vor lauter Faszination legte ich mich auf das Glas und betrachtete die Luftblasen, die langsam mit der Strömung wanderten. Ein Hitzestrom musste das Gestein geschmolzen haben, dass kaum Strahlung vorhanden war, war irritierend. Wie eine Eisschicht hatte sich die glasige Masse über den Fluss gelegt, hier und da faustgrosse Blasen geworfen, sich übereinander geschichtet wie zähflüssiger schwarzer Honig. Der Flussboden bestand grösstenteils aus schwarzen Sand, doch kleine grüne Flecken waren in der Tiefe wahrzunehmen. Chlorophyll.
Ich verbrachte einige faszinierende Stunden an der Passage, bis mich schliesslich die scheidenden Vorräte an mein eigentliches Ziel erinnerten.
Die kleine Siedlung erschien friedlich hinter einem Felskamm, dahinter erstreckte sich eine Talsohle bis zur etwa eine halbe Tagesreise entfernten Gebirgskette. Sie hatten mich von weit kommen sehen, und begrüssten mich freundlich. Verständigungsprobleme gab es keine. Der Bürgermeister wollte gleich wissen, worin ich gut sei. Verschiedene Menschen stellten mir hektisch Fragen, die ich sogleich ohne Nachdenken beantworten sollte. Nach einer kurzen Beratungspause rief mich der Bürgermeister zu sich und erklärte mir die Weise des hiesigen Zusammenlebens.
Es ging prinzipiell darum, dass jeder im Dorf eine gewisse Periode lang eine gewisse Funktion ausübte. Nach dieser Periode wurde erneut besetzt. Der Mechaniker wurde zum Polizisten, der Nahrungsmitteltechniker wurde für die Kartoffelfelder verantwortlich. Nur der Arzt hatte eine Sonderstellung inne, es gab ausserdem für jeden Funktionär einen Stellvertreter.
Das System funktionierte offensichtlich. Ich akzeptierte - und blieb. Als Chemiker, als Polizist, als Lehrer. Ich wäre noch weitere Perioden geblieben, aber nach etwa 500 Tagen in der Kommune ergriff mich die Unruhe.
Ich vermisste Mary. Es war an der Zeit, sie zu suchen.
goekel - 2. Jan, 21:15