Die Suedstadt

Am Strand war es ruhig. Leichter Bodennebel, fahles Sonnenlicht strich ueber den Sand. Verlorene Surfbretter lagen ungeordnet herum.
Vom Hotel fuehrte eine lange Steintreppe zum Steg, von dem aus die meisten Wassersportler starteten, wenn der Wellengang ungemuetlich wurde. Gegenueber des Stegs, der sich von der Treppe her kommend linkerhand befand, wand sich ein schmaler in den Kreidefelsen geschlagener Pfad zur weissen Hoehle. Dort hielfen sich oft die Rentner oder Liebespaerchen auf, da der Kreidefelsen allen Laerm vom Strand abschirmte und eine eigentuemliche Ruhe bot, auch bei hartem Wellengang war normalerweise nur das rhythmische Rauschen der gebrochenen Wellen zu hoeren.

Das Meer musste in hunderten von Jahren ein erstes Plateau aus der Hoehle herausgewaschen haben, das sich dann aufgrund eines womoeglich vulkanischen Ereignisses ueber den Meeresspiegel gehoben hatte. Nun war ein zweites Plateau im Begriff zu entstehen. Das Wasser stand gerade fussknoecheltief, der Untergrund bestand aus dem weissen feinen Sand.

Ich besass kein Surfbrett. Ich ging die Treppe hinunter und hielt erst einmal inne, da Mandarinenschalen auf der Treppe lagen. Daneben war etwas Plastikmuell versteut, den ich erst mal aufhob und in den Muellbehaelter warf. Er war leer, schien neu und bisher nie benutzt, da er glaenzte wie frisch polierter Stahl.

Der Wellengang war maessig, ich schwamm zunaechst im Wasser und fragte einen der im seichten Wasser duempelnden Jungen, ob er mir seinen Surfbaum ausborgte - ein grosses, geschliffenes flaches Stueck Holz. Nach einem kurzen Ritt auf den Wellen war ich der Sache muede und beschloss, weiter hinauszuschwimmen.
Jonas hatte mich gewarnt, dass das rote Meer fuer tueckische Stroemung bekannt waere. Ich hoerte nicht auf ihn, denn das Wasser war ruhig, kein Lueftchen zu spueren, und die Sonne warf ein diffuses langweiliges Licht durch den sich teilweise aufloesenden Nebel. Kein erkennbarer Grund fuer einen Wetterumschwung.
Nichtsdestotrotz hatte ich fuer alle Faelle mein Allzweckgeraet dabei - das Schweizer Taschenmesser fuer den Wassersport schlechthin. Es schloss unter anderem auch eine eingebaute Mobiltelefon-Einheit mit ein.

Die Warnung war berechtigt. Ploetzlich erfasste mich die Stroemung und der Strand war in wenigen Augenblicken in Ferne gerueckt. Mir war klar, dass Schwimmen nur den Verlust der letzten Kraefte bedeutet haette. So war klar, dass die einzige Alternative darin bestand, das gegenueberliegende Ufer zu erreichen, und zwar mit Hilfe des Landwindes.
Ich oeffnete mein Allzweckgeraet und entfaltete den Libellen-Lenkdrachen. Er besass eine kleine gelbe Segelflaeche mit einer Struktur aehnlich der eines Libellenfluegel. Der Wind griff ihn auf und zog mich langsam, aber stetig durchs Wasser in Richtung des anderen Ufers.

Man sagte mir, es sei Israel, in dem ich Land erreichte. Ich rollte den Lenkdrachen zusammen und hakte die Seilenden wieder sauber in die Haspeln des Allzweckgeraets ein. Israel hatte sich seit der letzten dokumentierten Reformation im Jahr 2014 stark veraendert.
Nach der Usurpation eines Grossteils des Jordanlands und dem anschliessend mysterioesen Aussterben des israelischen Volkes hatte sich eine Kultur entwickelt, die minimalistisch und ohne neuartige Technologien lebte, sich aber der jahrtausealten Baukunst verschrieben hatte. So irrte ich durch einen gigantischen Hybriden aus Schloss und Stadt und versuchte, inmitten der vornehmlich mit Handel beschaeftigen Menschenmenge Kontakt zu jemand aufzunehmen, der mir weiterhelfen konnte.
Man wies mir in Gebaerden einen Weg durch die Gruenflaechen, ich begriff, dass dort eine Konferenz von Wissenschaftlern aus verschiedenen Laendern stattfand.

Mein Blick streifte ploetzlich ein faszinierendes Objekt. Es handelte sich um einen Kunstbrunnen, dessen Wasserspiel sich fortlaufend aenderte, aber nicht nur das erweckte meine Aufmerksamkeit: Es waren besonders die bunten Fische, die einen irrwitzigen, im Minutenzyklus wiederkehrenden Reigen auffuehrten, als waere er einstudiert.
Ein breiter bronzener Hahn war die einzige Wasserzufuhr des Brunnens. Ein fast armdicker glaeserner Wasserstrahl stroemte daraus und erzeugte am Grund des Brunnens einen Strudel, in diesem ein Goldfisch mit einer akrobatischen Anmut Pirouetten drehte. Nach etwa einer Minute wurde der Goldfisch durch ein Quintett von kleinen blauen Fischen abgeloest, welches zur Kroenung seiner Performance den breiten Wasserstrahl der Stroemung entgegenschwomm, ein Fisch dicht hinter dem andern, bis sie schliesslich alle fast bewegungslos im Strahl verharrten und endlich seitwaerts nach links und rechts aus der Stroemung kippten. Ein faszinierendes Schauspiel.
Danach trat ein gelb/blau/weiss gestreifter Putzerfisch in Aktion,
indem er ueber den Brunnenrand sprang und mit seinen Flossen ballettartige Taenze auf dem Kiesboden darbot. Allerdings, da nicht in seinem natuerlichen Element, verschied er dabei und bot Anlass zu verschiedenen Mutmassungen. War die Performance geplant? Sollte alle paar Minuten ein Fisch auf diese Weise sterben? Oder war ihm ein Fehler unterlaufen?

Solche und aehnliche Gedanken liess ich mir durch den Kopf gehen, als ich in den Zeppelin stieg. Ich hoffte, wenige Stunden spaeter Jonas von meinen eigentuemlichen Beobachtungen berichten zu koennen. Leider funktionierte die Funkeinheit des Allzweckgeraets nicht mehr.

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